WIE ÜBER ARMUT BERICHTET WIRD UND WAS ARMUTSBETROFFENE EIGENTLICH BRAUCHEN.
ARMUT, AUSGRENZUNG UND WOHNUNGSLOSIGKEIT - ABSEITS VON SCHLAGZEILEN
Geschehen Tragödien, wie der schreckliche Unfall eines von Obdachlosigkeit betroffenen Mannes (20.04.2020), wird daraus schnell mediales Kapital geschlagen. Im Vordergrund stehen dann Emotion, individuelles Schicksal und Trauer. Für Systemkritik und Hintergrunddetails bleibt wenig Platz am Ende der Schlagzeile. Insbesondere dann, wenn es um Themen wie strukturelle Gewalt geht, wenn gesellschaftliche Ursachen für Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit auf dem Prüfstand stehen, wenn gesellschaftliche Problemfälle vorzustellen sind, die nicht ins Bild passen.
Die Berichterstattung über Armutsbetroffene ist seit jeher geprägt von Stigmatisierung und verkürzten Schuldzuweisungen. So wird auch im aktuellen Fall nicht nach Ursachen, Hintergründen der Problemlage oder Auswegen aus der Situation des Mangels gesucht. Stattdessen werden Zusammenhänge zwischen Unglück und Covid-19 konstruiert und Videos mit viel Blaulicht und Pixeln vom Unfallort gezeigt. Vergessen werden Mitgefühl, Rücksicht auf Angehörige des Opfers und Sachlichkeit.
Sachlichkeit wird bei der Frage nach der Ursache vermisst. Nein, das Virus SARS-CoV-2 trägt keine Schuld am Unfall. Was fehlt ist eine Debatte über die blinden Flecken im Sozialsystem. Gibt es in ländlichen Regionen Salzburgs keine Armut oder wird sie aus Angst vor Vorurteilen und Stigmatisierung verborgen? Der Blick auf die bestehende Hilfestruktur offenbart eine Mangelstruktur und verdeutlicht, dass ein Mangel an Beratungsstellen und Hilfsangeboten im ländlichen Raum dazu führen kann, dass diese Armut erst gar nicht sichtbar wird.
Salzburgs Wohnungslosenhilfe ist nahezu ausschließlich im Umfeld der Landeshauptstadt tätig. Hier werden Beratung, Wohnbetreuung, Prävention und Bewältigung von Wohnungslosigkeit angeboten. In Zeiten von Covid-19 haben diese Einrichtungen auf Notbetrieb umgestellt, um weiterhin von Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit betroffene Menschen zu versorgen und ihnen den Zugang zu Existenzsicherung und medizinischer Versorgung zu gewährleisten. Notschlafstellen wurden mittlerweile auf ganztägigen Betrieb umgestellt. So konnte sichergestellt werden, dass ein Groß der betroffenen Menschen sicher untergebracht und in die Lage versetzt ist, den Forderungen nach Abstand, „Zuhause bleiben“ und den ungeschützten Kontakt zu meiden, entsprechen können. Dem Engagement von Sozialarbeiter*innen und Ehrenamtlichen, von Menschen, die daran arbeiten, strukturelle Löcher im Auffangnetz des Wohlfahrtsstaates zu erkennen und zu schließen, ist es zu danken, dass Covid-19 die Gewährleistung sozialer und Existenzsicherheit nicht gänzlich in Frage stellen konnte. Sie sind es, die ohne viel Aufsehen zu erregen, oft mehr geben als die persönlichen Ressourcen erlauben.
Gerade in Zeiten von Covid-19 erleben wir, wie schädlich strukturelle Sparmaßnahmen, besonders im Gesundheits- und Sozialsystem, sind. Mit diesem Wissen stellt sich die Frage:
Sind Applaus und Wohnzimmerkonzerte für die Beschäftigten des Gesundheits- und Sozialbereich ausreichend?
Oder braucht es nicht vielmehr eine planmäßige und wissensgeleitete Weiterentwicklung der Hilfen, eine Aufstockung der Mittel für den Sozial- und Gesundheitsbereich, eine Regionalisierung der Wohnungslosenhilfe, die systematische Eröffnung von diskriminierungsfreien Zugängen zu leistbaren Wohnungen, den Ausbau von Angeboten der Wohnbetreuung und Streetwork – insbesondere auch im ländlichen Raum, denn eines ist sicher, Covid-19 wird nicht unsere letzte Krise gewesen sein.