LEISTUNGSPRINZIP VERSUS CHANCENGLEICHHEIT

BILDUNG UND ARMUT

Häufig wird Armut im Zusammenhang mit Leistung diskutiert. Die Argumentation hierfür lautet, dass Personen, die viel leisten, (materiellen) Wohlstand erreichen, während Individuen, die wenig leisten, folglich auch weniger Ressourcen zur Verfügung haben oder teilweise sogar in Armutslagen geraten. Der direkte Zusammenhang von Leistung (Leistungsprinzip) und monetärer Armut gilt jedoch von Seiten zahlreicher Wissenschaftler*innen seit Jahren als widerlegt. Dies soll im folgenden Artikel, mit speziellem Fokus auf das Thema Bildung, genauer beleuchtet werden.

 

Oft werden in medialen Beiträgen, Talks aber auch im Rahmen politischer Diskussionen mangelnde Leistung, Eigeninitiative sowie „Bildungsferne“ als Ursachen von Armut genannt. Dies ist jedoch äußerst kritisch zu betrachten. Vereinfacht dargestellt, besagt das Leistungsprinzip, dass höhere Bildungsabschlüsse und Qualifikationen zu einem höheren beruflichen Rang und somit auch zu höherem Einkommen führen.[1]  

Doch das Credo, dass ein Maturazeugnis oder das Studium Wohlstand garantieren, hat sich inzwischen selbst überholt. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Chancengleichheit im Bildungsbereich. Denn das Wechselspiel von Armutslagen und negativ verlaufenden Bildungsbiografien ist ein vielseitiges:
Seien es fehlende Möglichkeiten in Familien, Kindern bei deren Hausaufgaben zu unterstützen oder mangelnde finanzielle Ressourcen um den notwendigen Laptop, die Nachhilfe oder das Studium zu finanzieren. Bildungsungleichheiten existieren auch im österreichischen Bildungssystem. (mehr Informationen >> Zukunft trotz(t) Herkunft)

Obgleich Bildungsarmut vergleichsweise häufig in medialen Berichten unter anderem als Auslöser für finanzielle Armutslagen erwähnt wird, werden im Gegensatz dazu, Bildungsprivilegien (im Sinne von kostenpflichtigen Privatschulen, Privatuniversitäten oder sonstige Förderungsmöglichkeiten) nur selten thematisiert.[2] Dennoch wirken sich diese Ungleichheiten, speziell, wenn man an die Argumentation des Leistungsprinzips denkt, zwangsläufig auch auf die zukünftigen Chancen von Kindern und Jugendlichen aus.

 

Bildungsungleichheit in Zahlen
Bildungsungleichheiten lassen sich etwa an der Anzahl der Kinder und dem Bildungshintergrund ihrer Eltern erkennen, welche sich für den Besuch einer allgemeinbildenden höheren Schule entscheiden. Laut einem Beitrag von Christoph Erler 2011 hatten 77 % der Kinder, welche ein Gymnasium besuchten Akademiker*innen als Eltern, während nur 12 % der Kinder eine AHS besuchten, deren Eltern über einen Pflichtschulabschluss verfügten.[3] Doch auch die Studierenden-Sozialerhebung 2015 ergab, dass Studierende, nach wie vor, insbesondere aus der Mittel- und gehobenen Schicht stammen.[4] Bildung hängt demnach in vielen Fällen stark von den jeweiligen sozioökonomischen Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen ab.

 

Bedarfsgerechtigkeit statt Leistungsprinzip
Wird daher auf das Leistungsprinzip verwiesen, wäre es relevant zu betonen, dass Chancengleichheit im Erwerbsleben nur funktionieren kann, wenn wir als Gesellschaft barrierefreie und faire Bildungszugänge für Kinder, Jugendliche und Erwachsene (denken Sie an dieser Stelle zum Beispiel an kostspielige Fortbildungskurse und Lehrgänge) garantieren.

Abgesehen davon, dass in Zeiten steigender (monetärer) Ungleichheit nicht jede Person über die gleichen finanziellen Teilhabemöglichkeiten für Bildung und Weiterbildung verfügt, ist an dieser Stelle ebenso zu erwähnen, dass ein hoher Bildungsabschluss nicht zwangsläufig zu beruflichem Aufstieg und entsprechender Entlohnung führt.

 

Zentrale Forderungen der Armutskonferenz
Die jahrelange Vorherrschaft des Leistungsprinzips hat ihre Gültigkeit verloren. Es braucht eine neue Definition des Leistungsbegriffes (Pflege Angehöriger, Erziehung, systemrelevante aber unsichtbare Berufe) und einen Wohlfahrtsstaat, dessen Strukturen ein ausgleichendes Gegengewicht zur bestehenden Ungleichheit darstellt:

  1. Ganztägige Schulformen mit verschränktem Unterricht ausbauenDavon profitieren im besonderen Maße sozial benachteiligte Kinder. Ein Unterricht, der in heterogenen Gruppen, individuell fördern kann. Ein Unterricht, der Lernprozesse gestaltet, auf Neugier und Konzentration baut. Von der Defizitorientierung auf Ressourcenorientierung umsteigen. Wo „Fehler machen“ Bestandteil des Lernens ist. Ein Unterricht, der sich an den Lebenswelten der Schüler*innen orientiert und sie nutzt. Abgehen von den Ein Stunden-Einheiten: Themenflächen und Fächerauflösung im Kernunterricht
     
  2. Neue Schulraumarchitektur
    Es brauchte eine andere Schulraumarchitektur mit flexibleren Räumen, Ecken zum Zurückziehen, Orte zum Recherchieren und zum Aufenthalt in Pausen. Öffnung der Schule hin zum Stadtteil, zur Gemeinde für Aktivitäten in Gesundheit oder Erwachsenenbildung, Spracherwerb, Kultur oder Sportveranstaltungen.
     
  3. Flächendeckender Ausbau von schulunterstützender Sozialarbeit …
    … wie auch Ausbau an den Schnittstellen zwischen Schule und offener Jugendarbeit.
     
  4. Kompensatorische Ressourcenzuteilung für Schulen
    Schulen in sozial benachteiligten Bezirken besonders gut auszustatten, damit sie keine Schüler*in zurücklassen und für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben. Die Niederlande, Zürich, Hamburg und auch Kanada haben mit einer indexbasierten Mittelzuteilung gute Erfahrung gemacht. Mit einem solchen Sozialindex, der unter anderem Bildungsstand, Beruf und Einkommen der Eltern umfasst, würde eine Schule um einen bestimmten Prozentsatz x mehr an Ressourcen bekommen. Mehr Geld bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie qualitativ besser werden. Deswegen muss jeder Standort einen Plan entwickeln, wie er die Ressourcen am sinnvollsten einsetzt.

>> Zukunft trotz(t) Herkunft

Autorin: Sophie Mayer



[1] Vgl. Butterwegge, Christoph (2020) Die zerrissene Republik. Wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland. Beltz Juventa, Weinheim Basel.

[2] Vgl. Ebd. 

[3] Vgl. Erler, Ingolf (2011) Bildung zur Ungleichheit? In: Rosecker, Michael/ Schmitner, Sabine (Hg.) Armut und Reichtum. Ungleiche Lebenslagen, -chancen und -welten in Österreich. Verein Alltag Verlag, Wien, S. 192-209.

[4] Vgl. Institut für höhere Studien (2016) Studierenden-Sozialerhebung 2015. Bericht zur sozialen Lage der Studierenden. Band 1: Hochschulzugang und StudienanfängerInnen, Wien. Online unter: https://www.oeh.jku.at/sites/default/files/articles/attachments/studierenden_sozialerhebung_2015_band1_anfaengerinnen_0.pdf (Zugriff am 20.02.2020)

 

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